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Ressourcen- und Lösungsorientierung – mehr als Modebegriffe?

Ressourcen- und Lösungsorientierung sind in den letzten Jahren mehr und mehr zum common sense in der psychosozialen Szene geworden. In der Tradition des legendären Psycho- und Hypnotherapie-Pioniers Milton H. Erickson (1901-1980), der sogar die Auffassung vertrat, dass nahezu alles, was Menschen widerfährt, was sie von Geburt an mitbringen oder im Laufe ihres Lebens erwerben, auch Problematisches, für zieldienliche Veränderung nutzbar gemacht werden kann (er nannte es Utilisierung), hat sich die Hinwendung zu Ressourcen und Lösungen zu einer mittlerweile nicht mehr wegzudenkenden Grundorientierung in Pädagogik, Therapie, Beratung, Coaching, Supervision, Mediation etc. entwickelt.

Es erscheint mir jedoch wesentlich, zwischen oberflächlichen Lippenbekenntnissen – etwa in Konzeptpapieren oder Werbematerialien – und einer authentischen Haltung zu unterscheiden, die das professionelle Handeln tiefgreifend prägt. Am Beispiel der Suchthilfe, meinem langjährigen Arbeitsfeld, wird deutlich erkennbar: Eine kompetenzorientierte Arbeitsweise unterscheidet sich grundlegend von einer pathologiezentrierten Perspektive auf „Suchtverhalten“ und „Süchtige“, bei der Substanzkonsum primär als Defizit, Krankheit und schädigender Faktor betrachtet wird. Diese pathologisiernde Sichtweise mündet meist im Abstinenzpostulat: Abstinenz (idealerweise gleich von allen Suchtmitteln) dominiert als Paradigma  sowohl die professionelle Suchthilfe wie die Sucht-Selbsthilfe. Dabei ist Alkoholabstinenz gleichermaßen eine Jahrhunderte alte Idee wie die von der „Mäßigungs“-Bewegung postulierte Vorstellung, eines moderaten, risikogeminderten Konsums. Die Vertreter des Abstinenzparadigmas  fragen meist nicht nach dem Sinn, dem Nutzen des Konsums, sondern rücken einseitig den befürchteten oder bereits eingetretenen Schaden in den Fokus. Dies wird in der Regel verknüpft mit der ebenfalls paradigmatischen Annahme, dass ein kontrollierter, moderater Substanzkonsum bei „Abhängigkeitserkrankungen“ prinzipiell nicht realisierbar sei. Ich will an dieser Stelle nicht auf die zahlreichen ungünstigen Implikationen eingehen, die die massive Dominanz dieser Sichtweise für Menschen mit sich bringt, die ihren Konsum nicht so gestalten können, wie sie selbst und Ihr Umfeld es sich wünschen. Auch die wissenschaftliche Fragwürdigkeit dieser Aussage bleibt an dieser Stelle unberücksichtigt. Offensichtlich ist jedoch, dass bei „Suchterkrankungen“ nicht mehr von einer selbstbestimmte Orientierung an Ressourcen und Kompetenzen als Möglichkeit ausgegangen wird. Im Fokus der Behandlung steht vielmehr die Verhinderung des Konsums, mit dem Ziel, Schlimmes zu verhüten.

Wie die moderne Hirnforschung eindeutig belegt, ist eine solche Orientierung an „Vermeidungszielen“ – so treffend die Kognitive Verhaltenstherapie – für unser Gehirn jedoch äußerst schwierig zu realisieren ist. Solche Negationen aktivieren neuronal paradoxerweise stets ihr Gegenteil: So wird aus „kein Alkoholkonsum“ dann „Alkoholkonsum“ – analog zu dem berühmten Beispiel: „Denke nicht an den rosa Elephanten“. Man könnte einwenden, dass Gedanken noch keine Handlungen darstellen. Wenn jedoch die mit Alkoholkonsum assoziierten neuronalen Netzwerke durch lange Übung gefestigt sind, reaktivieren und verstärken wir eben durch die gedankliche Beschäftigung mit dem Nicht-Konsum die Konsum-Assoziation. Hypnotherapeutisch ausgedrückt: Die Problemtrance wird aktiviert. Und dies kann sich – bewußt wie unbewußt – erheblich auf das Verhalten auswirken.

Für den Umgang mit Suchtphänomenen in der  beratenden und therapeutischen Arbeit gilt, wie für andere Symptome (Ängsten, depressivem Erleben etc.), dass ein ressourcenorientierter Ansatz – bezogen auf gemeinsam definierte Ziele – stets konsequent vergangene Erfolge und zukunftsgerichtete Lösungsideen fokussiert. Anstelle des „Warum?“ und des „Wie?“ des Konsums, rückt dann in den Mittelpunkt, was in der Vergangenheit (der entfernteren oder unmittelbaren) dazu beigetragen hat, erwünschtes Verhalten und Erleben zu erreichen. Dies kann die gezielte Begrenzung des Konsums, seine frühzeitige Unterbrechung oder der Verzicht zugunsten „höherer Ziele“ sein. Die zentralen Fragen lauten: Wie war das möglich? Wer oder was hat dabei geholfen? Wie kann dies künftig wieder gelingen?

Ebenso bedeutsam erscheint mir, das „erwünschte Wohin“ auch losgelöst vom Symptom oder Problem zu betrachten: Wie sieht ein lebenswertes (Er-)Leben aus? Was wird dafür benötigt? Welche Schritte erweisen sich als hilfreich und haben sich möglicherweise früher bereits bewährt? Wie lassen sich erste, ermutigende und motivierende Erfolge auf dem neuen Weg erzielen? 

Häufig wird dabei eine schmerzliche Diskrepanz wahrnehmbar – zwischen dem unerwünschten Ist-Zustand und dem ersehnten Soll-Zustand. Ohne ein attraktives, erreichbar scheinendes Ziel und die Erinnerung an früheres Gelingen ist diese Ist-Soll-Diskrepanz kaum auszuhalten. Wenn jedoch Gedanken an positive vergangene Erfahrungen und zukunftsgerichtete Perspektiven Mut und Hoffnung aktivieren, steigt die Wahrscheinlichkeit einer Gelingensdynamik. Diese veränderte Aufmerksamkeitsfokussierung bewirkt unmittelbar eine andere emotionale Gestimmtheit, Zuversicht und den Wunsch, den sich abzeichnenden neuen Weg weiterzugehen – selbst wenn dies zunächst tastend und mit einer gewissen Skepsis geschieht. Dies gilt im übrigen ebenso für Haltung und Erleben des Beraters, Coaches oder Therapeuten. 

Gleichwohl verschwindet das Problemerleben nicht dauerhaft, nur weil es situativ in den Hintergrund tritt. Es kehrt zurück, sobald eine problemaktivierende Fokussierung der Aufmerksamkeit erfolgt. Anders formuliert: Auch bei lösungsorientiertem Vorgehen sind spontane „Wunderheilungen“ selten – und werden in der Regel auch nicht erwartet. Eine Haltung und Praxis, die unerwünschtem Erleben und Verhalten respektvoll und akzeptierend begegnet, wirkt inspirierend und lädt dazu ein, von oft erfolglosen und mitunter problemverstärkenden Kämpfen dagegen abzulassen. Vielfach erweist sich auch die Information als entlastend, dass Symptome, Probleme und Konflikte garnicht plötzlich und endgültig verschwinden können, allein deshalb, weil sie neuronal langfristig gebahnt und im Gedächtnis verankert sind. 

Die Perspektive eines meist längeren Weges, der Schritt für Schritt, forschend, übend und von neugierigem Interesse geleitet, beschritten wird, wirkt dann durchaus attraktiv und lohnend. Bei Rückschlägen und unerwarteten „Erstverschlechterungen“ hilft es, dies im Gespräch einzuordnen und auch hieraus wieder Impulse für eine gute zukünftige Entwicklung zu gewinnen – und sei es als Hinweis auf etwas, das bislang nicht genügend gesehen und gewürdigt wurde.

Auf diese Weise werden Ressourcen zu Kompetenzen und Probleme zu Lösungen transformiert – individuell und einzigartig, wie die „kundigen Menschen“ (Jürgen Hargens), mit denen wir zu tun haben. Als Berater, Therapeuten und Coaches sind wird dabei eher Begleiter als Erfinder, geübt im aufmerksamen Zuhören, manchmal mit stimmigen Impulsen, oft auch (Mit-)Lernende, die diesen Weg begleiten – solange und soweit es jeweils gewünscht wird.